D I E M Ä R C H E N N O V E L L E N
Die Märchennovellen sind der Versuch gesellschaftliche Themen holographisch aufzuschlüsseln, um Lösungsmöglichkeiten herauszufiltern. Acrylbilder und Landschaftsphotographien in digitalen Collagen verknüpft, erzeugen einen mehrdimensionalen Raum für Weisheiten und Wahrheiten europäischer Märchen, die in ihren Geschichten Perspektiven von überzeitlicher Bedeutung bereithalten. Vergangene Epochen gerinnen so zu Bildern von brennender Aktualität. Es ist ein Märchen über Märchen und als Retrospektive auf ihren Inhalt zugleich eine Reverenz an deren Poesie sowie ein politisches Statement.

UTOPIA
Nach den Sternen zu greifen ist kein Vorzugsrecht unserer Ahnen. Wir alle greifen nach Utopia.
Eine falsche Straße jedoch,
auf dem Weg durch verführerisches Gelände,
und unsere Träume erstarren zu Kristallen einer Wüste.
Die bleiche Ästhetik des Todes weht still über Böden, die keine Verwurzelung mehr dulden
und eine Fassade der Kälte
absorbiert ALLES.
Maikäfer sondieren drohnengleich das Gebiet nach verdächtigen Gedanken, die schweigen.
Und die ersehnte Aufrichtigkeit verflüchtigt sich in eine Matrix verschwommener Prinzipien,
in der jeder arithmetische Punkt zur Farce wird, weil Auflösung sich durchsetzt.
Selbst Höhenflüge alternieren mit dem freien Fall, der ohne Schwindel endlos um sich selbst kreist.
Die Elemente schützen uns nicht mehr, - denn sie wenden sich gegen uns.
Und spätestens jetzt erkennen wir die grausige Realität:
Die Spritze des Anästhesisten war vergiftet!

DIE MAUER DES SCHWEIGENS
In Systemen, die auf Unfreiheit und Überwachung basieren,
herrscht Gewalt.
Diese Gewalt hinterlässt unsichtbare Spuren:
Kontaktarmut, Beziehungslosigkeit, Misstrauen, Angst,
Rückzug, Schuld und Scham.
Über Jahre hinweg gewöhnen sich die Opfer in ganz alltäglichen
Alltagshandlungen konstant an ein Klima der Vereinzelung und Ohnmacht,
das sich permanent von selbst erneuert. Internalisierte Gewalt jedoch,
erzeugt Passivität. Passivität erzeugt Schweigen.
Schweigen stabilisiert den Status quo und ein etablierter Status quo
schließt irgendwann den Kreis.
Das System bleibt so auf Dauer unangreifbar...

DARKNET
Wenn in einem abgründigen System Grundsätzliches falsch ist, darf man dann zu abgründigen Mitteln greifen, um Grundsätzliches richtig zu stellen?
...was soll ich denn da unten im Baume, fragte der Soldat,
Geld holen!, antwortete die Hexe...
H O M O C O N S U M I C U S
Der Homo Consumicus als Endprodukt der Global Players
und Ausdruck einer Zeiterscheinung des 20. und 21. Jahrhunderts.
Das Geniale an dieser menschenähnlichen Maschine ist ihr eingebauter Kühlmechanismus,
der beim fortlaufenden, sinnlosen Konsumieren von Massenware das Überhitzen verhindert.
Ein einwandfreies Funktionieren der Einzelteile über Jahrzehnte scheint damit sichergestellt,
auch wenn einige Sollbruchstellen - aus Rentabilitätsgründen - ihre Lebensdauer verkürzen
oder sie über kurz oder lang ihre Lebensgrundlage selbst wegkonsumiert haben dürfte.
Der eindeutige Beweis jedoch, für die flüchtige Existenz dieser effektiven Spezies auf unserem Planeten
werden aus wissenschaftlicher Sicht die Artefakte ihres Konsums sein:
Plastik, Müll, Radioaktivität, Umweltzerstörung, Artensterben und so weiter...

TOD EINES WERTSCHÖPFENDEN
Der Herr will uns aus dem Haus werfen und vom Hof jagen.
Dabei haben wir ihm jahrelang treu gedient:
Wir haben hart gearbeitet,
von Sonnenaufgang bis spät in die Nacht,
haben unsere Steuern und die Pacht bezahlt,
die Umweltauflagen beachtet,
uns mit der Bürokratie abgefunden,
versucht konkurrenzfähig zu bleiben,
die Alten mitversorgt,
Rücklagen gebildet.
Wir hatten keinen Urlaub, keine Freizeit, kein Weihnachtsgeld.
Nun sind wir alt und werfen keinen Profit mehr ab.
Die Produzenten des freien Weltmarktes warten schon und wollen uns ans Leder!
Auf Brüder und Schwestern, verlassen wir unseren Hof,
denn etwas besseres als in Deutschen Landen finden wir überall!

BELLE EPOQUE
Eduard ließ sich sein Rasierwasser jedes Jahr aus Paris schicken.
Unter dem Weihnachtsbaum marschierten selbst geschnitzte Soldaten
und Eisblumen prangten an den Fenstern. Im Sommer gab es Kohl,
Petersilie und Wuzeln für Mathildes gute Suppe. Frisch gestärkte Wäsche
flatterte hinter dem Haus und im Altweibersommer wartete der Gugelhupf
unter der Linde mit Kakao und Kaffee aus dem Kolonialwarenladen.
Den Kolonialwarenladen gibt es nicht mehr, - so wie alles andere.
Kakao, Kohl und Petersilie kann man jetzt überall kaufen.
Im Supermarkt
oder im Internet.
Bei Amazon, billig und frei Haus.
Rund um die Uhr.
Geliefert wird per Post.
Planbar und verlässlich.
Nur die Linde, - die ist im Lieferumfang leider nicht enthalten…
DER REALIST
10 Minuten taub, erspart 1 Stunde Arbeit, -
dachte sich der Froschkönig, als die Prinzessin unterm Regenbogen ihn bat,
die goldene Kugel zu holen, die ihr in den Brunnen gefallen war.
Erleichtert verschenkte er seine Krone und tauchte ab in die Tiefen
seines kühlen Teichs um seine eigenen Projekte zu verfolgen...
ALLES IM WUNDERLAND
Ich muss wachsam bleiben, -
dachte sich Alice, als sie sich unversehens im Dickicht des Wunderlandes wiederfand. Es ist so viel einfacher, sich zu verteidigen, wenn man ein Messer hat. Selbst die lieblichen Rosenbüsche im Garten der Königin haben Dornen, auch wenn die rauchende grüne Raupe auf ihrem merkwürdigen Pilz das Gegenteil behauptet -
Ich weiß es besser.

DAS ABENDMAHL
Ein durch Umkehr wiederhergestelltes,
weil gestörtes Verhältnis zwischen
der Schönheit der Schöpfung und dem Menschen.
Demut ist von Vorteil, aber nicht essentiell.
Das archaische Ritual der Selbstaufopferung,
erübrigt sich an dieser Stelle -
Diesen Job hat laut Testament schon Jesus übernommen...